Deutschlands populärste Krimireihe wird bei Twitter und Facebook zum "Live-Event". Ob das höhere Einschaltquoten bringt, weiß bei der ARD aber niemand.

Kritik auf Twitter zu einer Folge des "Tatorts"

Kritik auf Twitter zu einer Folge des "Tatorts"

Ende Juni liegt der Krimi-Klassiker der Republik für drei Tage gewissermaßen selbst auf dem Seziertisch. Die Göttinger Forschungsgruppe "Ästhetik und Praxis populärer Serialität" hat Kollegen zu einer interdisziplinären Tatort-Tagung geladen. Die Forscher reisen von den Universitäten Hamburg und Wien, aber auch aus Amsterdam und Kansas an, um dem anhaltenden Erfolg der ARD-Reihe auf den Grund zu gehen.

"Die Inszenierung des Todes im Tatort und der soziale Umgang mit Sterben und Tod" ist dann ebenso Thema wie "das Komische als serielle Dysfunktionalität im Tatort Münster" und der Vergleich mit der US-Erfolgsserie The Wire. Nicht explizit auf der Agenda steht indes die Frage, welche Effekte moderne Medien wie soziale Netzwerke auf den TV-Klassiker haben – ob etwa Lob und Tadel auf Facebook und Twitter in die Quote einzahlen, wie das jüngst etwa in der WAZ behauptet wurde. Das wiederum ist kein Wunder: Selbst Experten müssen sich hier noch in einen Indizienprozess begeben.

"Das können wir im Augenblick gar nicht messen", sagt beispielsweise Walter Klingler, ein beim Südwestrundfunk angesiedelter hauseigener Medienforscher der ARD. "Das Internet ist für uns jedenfalls ein spaßiges Ding." Dennoch sei für ihn eindeutig, dass der Tatort derzeit sehr erfolgreich sei – und das aus ganz unterschiedlichen Gründen. Dabei spielten nicht nur "völlig neue Kommissar-Persönlichkeiten" wie Til Schweiger eine Rolle, sondern auch der "zunehmende Event-Charakter" der Reihe: "Es gab noch nie so viele Kneipen, die sonntagabends den Tatort zeigen", sagt der Forscher. "Und dann bilden sich eben auch immer mehr virtuelle Fan-Gruppen in sozialen Netzwerken."

Die neun ARD-Sender tun unterdessen selbst viel dafür, dass der Tatort im Gespräch bleibt. So wie die ARD inzwischen Kneipiers mit Plakaten und Aufstellern versorgt, hilft sie auch im Netz nach. Bei Twitter versorgt @Tatort derzeit bereits 30.000 Fans der Krimi-Reihe mit Hinweisen zur Sendung und Neuem zu den Ermittlerteams, bei Facebook sogar fast 700.000. Und damit auch in einer Welt, in der Medien immer individueller genutzt werden, das Lagerfeuer "Livefernsehen" weiter funktioniert, sind die Macher während der Ausstrahlung selbst online ansprechbar.

Komplizierte Beweisführung

Wenn an diesem Sonntag beispielsweise die Hauptkommissare Eva Saalfeld und Andreas Keppler (Simone Thomalla und Martin Wuttke) an einem Waldsee bei Leipzig der Frage nachgehen, wer ein siebenjähriges Mädchen ermordet hat, diskutiert Miguel Alexandre über die sozialen Netzwerke mit dem Publikum. Er hat das Drehbuch dieses Falls mit entworfen und während der Produktion Regie geführt.

Zuständig fürs das "Social TV" im Senderverbund ist die Redaktion von ard.de in Mainz. Leiterin Heidi Schmidt hat zuletzt 54.000 Besuche der dazugehörigen Plattform gezählt, die Einträge von Fans bei Facebook und Twitter bündelt – diejenigen jedenfalls, die mit dem entsprechenden Hashtag versehen sind oder direkt auf den Fanseiten der Krimireihe auflaufen. Dafür gibt es Zahlen wie etwa die der Tweets pro Sendung, doch für die Auswirkungen auf die bislang einzig wahre Währung im TV-Geschäft, die Einschaltquote, ist die Beweisführung arg kompliziert. 

"Es ist schwierig herauszufinden, warum ein Zuschauer eine Sendung schaut", sagt Online-Chefin Schmidt. Natürlich beobachte auch sie die vielen Kommentare zu den Sendungen und Links zu den Videos in den Mediatheken. Doch wie viele Nutzer sich letztlich durch die Hinweise ihrer Freunde oder den gezielten Informationshäppchen der Sender dazu animieren lassen, Sendungen einzuschalten oder abzurufen, sei unklar. Belastbare Studien kenne sie dazu jedenfalls nicht.