sábado, 3 de agosto de 2013

Twitter-Roman von Jennifer Egan: Die Frau mit der 140-Zeichen-Magnum - Spiegel Online

"Heroismus heute heit, der amerikanischen Gier nach Gesehenwerden und Anerkennung eine Absage erteilen."

Ein ziemlich vollmundiger Satz ist das, der sich da irgendwo in der Mitte des neuen Romans von Jennifer Egan findet. Vollmundig vor allem vor dem Hintergrund, dass dieser neue Roman vor Buchverffentlichung in Form von Kurzmitteilungen vom US-Magazin "New Yorker" via Twitter versendet wurde. Also mit Hilfe jenes Mediums, das auch Politiker, Schauspieler und Promidarsteller nutzen, um mit angeschrften 140 Zeichen aus dem Gros der Mitbewerber um die ffentliche Aufmerksamkeit herauszustechen.

Ist die Autorin also schizophren, wenn sie solche stattlichen medienreflexiven Statements im Durchlauferhitzer-Medium Twitter uert? Haben wir es bei ihr gar mit einer gespaltenen Persnlichkeit zu tun? Einer Mrs. Jekyll und einer Dr. Egan?

Eher nicht. Man darf davon ausgehen, dass Jennifer Egan, 50, genau wei, was sie tut, wenn sie mit ihrer neuesten Arbeit, "Black Box", den ersten komplett in Tweets verffentlichten Roman vorlegt. Weltsensation wird da hyperventiliert, Egan schweigt und geniet.

Eine Mata Hari mit Smartphone

Kaum eine andere Romanautorin hat derart virtuos und vor allem psychologisch genau die Mechanismen der Aufmerksamkeitskonomie offengelegt: Egans letztes groes Werk, "Der grere Teil der Welt", 2011 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, ist der beste und der traurigste Roman, der je ber das Musikbusiness geschrieben wurde.

Es geht darin um Rock'n'Roll. Und darum, wie er verkauft wird. Der Roman fhrt von den Punk-Clubs San Franciscos der spten siebziger Jahre ber die aufgeblasene, geldgestopfte Tontrgerindustrie der Neunziger zur Auf-Leben-und-Tod-Kampfkommunikation der Gegenwart. Am Ende, so die grimmige Pointe, arbeiten die arbeitslos gewordenen Rock'n'Roll-Promoter als PR-Berater fr Diktatoren in der Dritten Welt.

Kommunikation als Mittel der modernen Kriegsfhrung: Das ist das Motiv, das nun auch in "Black Box" einen groen Stellenwert hat. Eine junge Frau, verheiratet, kinderlos, frher ebenfalls im Musikgeschft ttig, und, wie sie selber schreibt, vom Leben und von ihrer Heimat Amerika verwhnt, lsst sich als verdeckte Ermittlerin auf einen mutmalichen Staatsfeind ansetzen. Sie muss sich selbst aufgeben, sie muss ein neues konstruiertes Ich von sich in die Welt kommunizieren, um in der Rolle der Spionin aufzugehen.

Eben eine heroische Aufgabe, wie die medienaffine Mittdreiigerin sich selbst suggeriert - siehe das 140-Zeichen-Zitat am Anfang. Die Heldin, eine Mata Hari mit Smartphone.

Spionage in fremden Betten

Jennifer Egan nutzt die Tweet-Lnge als strenge Form, in der sie minutis ber die Abspaltungsprozesse ihrer Ich-Erzhlerin berichtet. Sprache wird zur Waffe, also Obacht vor der Frau mit der 140-Zeichen-Magnum. Grandios, wie Egans Erzhlerin in knappen Eintrgen beschreibt, wie sie vor dem Beischlaf mit ihrem Zielobjekt die Dissoziationstechnik anwendet, um ihren Krper von ihrem Verstand abzutrennen:

"Schlie die Augen und zhle langsam von zehn rckwrts."

"Stell dir bei jeder Zahl vor, dass du dich von deinem Krper lst und jeweils einen Schritt weiter von ihm entfernst."

"Bei acht solltest du dich knapp auerhalb deiner Haut befinden."

"Bei fnf solltest du einen halben Meter ber deinem Krper schweben und wegen des Geschehens hchstens noch eine diffuse Unruhe empfinden."

"Bei drei solltest du dich vllig von deinem physischen Ich abgekoppelt haben."

"Bei zwei sollte dein Krper in der Lage sein, ohne deine Mitwirkung zu agieren und zu reagieren."

"Bei eins sollte dein Geist so frei umherschweifen, dass dich nicht mehr interessiert, was sich unter dir abspielt."

"Weie Wolken ziehen majesttisch dahin."

Die Tweets sind also angelegt als Mischung aus Selbstgesprch und geheimdienstlichen Feldinstruktionen; zusammengenommen ergeben sie eine Art Kompendium fr den Spionageeinsatz in fremden Betten. Die Heldin versucht sich fr ihr Zielobjekt zu optimieren, ohne sich selbst dabei zu verlieren.

Ein Optimierungsillusionismus, wie er auch in Charlotte Roches "Schogebete" beschrieben wird. Schweigen wir mal ber die stilistischen und qualitativen Unterschiede zwischen den beiden Autorinnen - in ihrer jeweiligen Heimat kommt ihnen die gleiche Aufgabe zu: Aufgrund ihres enormen Erfolges mssen sie stndig die Frauen-, Pop- und Medienerklrerinnen geben, ob sie wollen oder nicht. Dabei macht zumindest Egan gar keinen Hehl daraus, dass sie ganz viele Dinge gegenwrtiger Kommunikationsprozesse nicht versteht. Twitter zum Beispiel.

Hilfe, ich habe 8000 Follower!

Ja, die Frau, die den ersten groen Twitter-Roman geschrieben hat, wei persnlich nicht so recht, was sie neben der Mglichkeit darauf Romane zu verffentlichen, eigentlich damit anfangen soll. Weniger als ein Dutzend Tweets hat Egan ber ihren Account in die Welt geschickt, darunter auch einen, in dem sie sich dafr entschuldigt, unabsichtlich Spams gesendet zu haben.

Gut 8000 Leute folgen Egan inzwischen, sie selbst hat nicht den geringsten Schimmer, weshalb das so ist - oder gibt das zumindest vor. Die verschiedenen Passagen ihres neuen Romans, den sie wie alle ihre anderen Romane auch in einem Notizblock formuliert hat, wurden jedenfalls von den Redakteuren des "New Yorker" via Twitter versendet. Erst danach wurde der Roman in den USA in Buchform verffentlicht.

Am 7. August erscheint "Black Box" auf Deutsch - und die Social-Media-Redakteure von SPIEGEL ONLINE haben die Ehre, Egans Roman ber den Account @Spiegel.rezens im deutschen Raum zu twittern. Ab Montag wird er an zehn Abenden mit jeweils rund 60 Tweets verschickt.

Um es noch einmal ganz deutlich zu formulieren: "Black Box" ist nicht das Werk, das den Lifestyle moderner sozialer Netzwerk in eine Erzhlhandlung bersetzt, es bernimmt auch nicht die dort bliche Grenzgngergrammatik, um sie sthetisch zur Literatur der Zukunft zu berhhen. Stattdessen wird hier, und das alleine ist knstlerisch eine Sensation, das Prinzip des Seriellen ausgereizt, das schon immer das Erzhlen zu jeder Zeit bestimmt hat. Egan beruft sich dabei auf Romanciers wie Balzac oder Dickens, deren Werke im 19. Jahrhundert als Fortsetzungen in Zeitungen verffentlicht wurden.

Sie selbst treibt diesen cliffhanger-betonten Happen-Erzhlstil nun auf die Spitze und sondert im 140-Zeichen-Takt einen Gedankenblitz nach dem anderen ab. Jeden einzelnen kann man sich als Sinnspruch auf den Arm ttowieren lassen oder auf einen Post-it kritzeln und an die Browand babben.

Oder - ja, auch das - per Tweet ber Twitter versenden.


SPIEGEL ONLINE sendet Jennifer Egans Roman "Black Box" ab Montag zehn Abende lang von jeweils 20.00 bis 21.00 Uhr ber den Twitter-Account fr Rezensionen: @SPIEGEL_rezens

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