viernes, 4 de enero de 2013

„Musik will mehr als gefallen“ - Morgenweb

Als Schlagzeuger hat Mannheims Hochschulprofessor Dennis Kuhn immer wieder das Problem, missverstanden zu werden. Seine Instrumente kennen die meisten Menschen aus der Pop- und Rockmusik, und ein Konzert mit seinem Mannheimer Schlagwerk kann auch Assoziationen an diese Art von Musik hervorrufen - oder, aus seiner Sicht vielleicht noch viel schlimmer, an Tourneeproduktionen wie "Stomp" oder Konzerte der japanischen Trommler Yamato.

Herr Kuhn, in unserer Zeit gibt es die Tendenz, sogenannte Ernste und sogenannte Unterhaltende Musik auf eine Ebene zu setzen. Was ist der Unterschied zwischen E und U?

Dennis?Kuhn: Es gibt für mich eigentlich nur gute und schlechte, beziehungsweise interessante und nichtssagende Musik, ob Jazz, Rock, Klassik, Folk, World, E oder U!

Aber es muss doch Kriterien geben, nach denen die Einteilung, die ja täglich von allen Menschen gemacht wird, erfolgt?

Kuhn: Wenn ich die nur kennen würde. Für mich selbst aber könnte ich es in die Richtung trennen, dass man E-Musik nicht einfach so nebenbei als Klangberieselung oder beispielsweise im Auto hören kann, da diese Musik zu viele Parameter in sich trägt, bei den enormen dynamischen oder auch rhythmischen Wechseln innerhalb eines Stückes angefangen. Man müsste dauernd am Lautstärkeknopf des Radios rumhantieren, um nicht die Hälfte des Werkes zu verpassen. Dazu wäre das im Falle des Autoradios äußerst verkehrsgefährdend!

Das wäre dann ja der Unterschied zwischen E- und A-Musik - A stünde für Auto?.?.?.

Kuhn: .?.?.?Okay. Es ist bei E oft auch erforderlich, dass man sich schon mehr oder weniger mit dem Komponisten und seinen Ideen auseinandersetzen muss, um tiefer in die Klang- und Kompositionswelt des jeweiligen Tonschöpfers eindringen zu können, um folglich seine Kunst zu verstehen. Das alles ist nicht unbedingt nötig bei der sogenannten U-Musik. Ihr Name ist Programm, sie will unterhalten.

Es gibt sehr komplexe Musik, die im Plattenladen unter Rock und Pop steht?.?.?.

Kuhn: Ja, da gibt es natürlich große Unterschiede; von der profitorientierten Schlager- und Volksmusik zu hochvirtuoser und moderner, der Klassik nahe kommender Avantgarde-Rock- oder -Jazzmusik. Nicht alles, was U ist, ist unterhaltend, ebenso ist nicht alles, was E ist, ernst. So gibt es Rockbands, die viel mehr E als U sind. Umgekehrt gibt es klassische Musik, welche eher U ist. Leider wird heutzutage zu sehr auf Effekt und Gewinn gesetzt. Rock Goes Classic und umgekehrt ist so ein grauenhaftes Geschwür. Dabei handelt es sich meiner Meinung nach ausschließlich um U der allerschlechtesten Art. Rockmusik mit Streichern. Ein Sinfonieorchester versucht zu rocken. Das geht schief! Ich weiß es ehrlich gesagt aber immer noch nicht genau, was der Unterschied ist.

Wir haben ja auch immer noch keine Kriterien!

Kuhn: Genau, da es diese eigentlich ja gar nicht gibt. Wer sollte sie denn überhaupt aufstellen? Sie, ich oder wer sonst? Und brauchen wir diese überhaupt? Wenn sie aber scheinbar doch gemacht werden, wären sie niemals allgemeingültig. Und die Tendenzen, die Sie am Anfang ansprechen, sehe ich eher als eine Verwischung der Grenzen mit gegenseitiger positiver Beeinflussung. Und das kann doch nur gut sein.

Sie wären also - mit Kant - damit einverstanden: Unser Urteil über Musik ist kein Erkenntnisurteil, sondern ein Geschmacksurteil? Demnach gäbe es dann auch keine gute und schlechte Musik, sondern nur Musik, die - überspitzt ausgedrückt - mir gefällt oder nicht?

Kuhn: Kant habe ich zwar nicht gelesen, ich weiß aber, dass er kein großer Musikliebhaber war und diese Gattung der schönen Künste in seiner "Kritik der Urteilskraft" an unterster Stelle, also nach der Bildenden und Dichtenden Kunst gesetzt hat. Ich denke auch, dass man Kant zu unserem hier diskutierten Thema E und U nicht hinzuziehen kann, die Musik zu seiner Zeit war lange nicht so verschiedenartig, wie sie heutzutage - zum Glück - ist. Ich habe übrigens die erste Frage von meiner Person aus und nicht im Allgemeinen beantwortet. Musik will aber mehr als nur gefallen, ob E oder U. Man denke mal nur an Luigi Nono, Vinko Globokar oder John Cage.

Herr Kuhn, da fällt mir jetzt eigentlich nur noch "Faust" ein: Da steh' ich nun, ich armer Thor, und bin so klug als wie zuvor?.?.?.

Kuhn: ?Wie man sieht, sind Diskussionen über die Unterteilung von E und U-Musik von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es gibt diese Unterscheidung nur in den Köpfen von Menschen, nicht aber in der Musik selbst. Da zitiere ich lieber einen der genialsten und größten Musiker des 20. Jahrhunderts und vor allem ein Ignorant, was E und U betrifft, Frank Zappa: "Anything can be music, but it doesn't become until someone wills it to be music, and the audience listening to it decides to perceive it as music" (frei übersetzt: Alles kann Musik sein, aber es wird erst dann dazu, wenn jemand will, dass es Musik ist. Und wenn die Zuhörer entscheiden, dass sie es als Musik wahrnehmen).

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