Im Gefängnis gibt es kein Internet, der Staat fürchtet Missbrauch. Doch wie sollen digitale Analphabeten nach der Haft zurechtkommen? Ein Besuch in der JVA Tegel Von 

Ein Telefon in der JVA Tegel

Ein Telefon in der JVA Tegel  |  © ZEIT ONLINE

Wenn Marco V.* Berlin sehen will, setzt er sich auf einen Bürostuhl und tippt auf der Tastatur vor sich das Wort "Berlin". Dann beginnt der alte Computer zu rechnen und spuckt schließlich ein paar Bilder aus: die Hauptstadt bei Sonnenschein, den Plan der U- und S-Bahnlinien. Danach kommen die ersten Fehlermeldungen.

Es gäbe noch viel mehr Berlin-Bilder zu sehen. Aber nicht für Marco V. Sein Browser hat einen Filter, der verhindert, dass er zu viel von der Netzwelt sieht, sein Fenster hat Gitter. Sein Computer steht in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Berlin-Tegel.

Dabei ist der große 52-Jährige mit dem grauen Pferdeschwanz bereits privilegiert. Er ist Redaktionsmitglied der Gefangenenzeitschrift Lichtblick und hat überhaupt Zugang zum Internet. Wenigstens ein bisschen.

Häftlinge in Deutschland sind offline. Während draußen die Digitalisierung immer schneller voranschreitet, ist die Gefängniswelt analog geblieben. E-Mails, Videochats, eine kurze Suche auf Google: All das dürfen Gefangene nicht nutzen. So will es der Gesetzgeber.  

Behörden fürchten Missbrauch

Kein verurteilter Pädophiler soll aus der Haft heraus Kinderpornografie abrufen, kein Stalker sein Opfer aus der Zelle auf Facebook anschreiben können. Die Gefahren sind zu groß, sagen Behörden wie die Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz. Das Internet besteht nicht nur aus Nachrichtenseiten und Wetterportalen, es gibt auch dunkle Ecken. Die Beamten fürchten Missbrauch und sehen keine Möglichkeit, wie der verhindert werden könne, wenn es Internet für alle Gefangenen gäbe.

Marco V. und seine Lichtblick-Kollegen empfinden das Netzverbot als Schikane. Sie sprechen davon, dass der Staat keine Balance zwischen seinem Sicherheitsbedürfnis und dem Resozialisierungsgedanke findet, ja diese Balance nicht einmal sucht.

Strafvollzug ist seit der Föderalismusreform 2006 Ländersache. Jedes Bundesland kann selbst entscheiden, wie es den Zugang zum Netz gestalten will. In keinem Bundesland gibt es für Gefangene im sogenannten geschlossenen Vollzug freies Internet. Wenn sie kommunizieren wollen, können sie Briefe schreiben, wenn sie sich informieren wollen, einen Fernseher kaufen oder eine Zeitung abonnieren.

Die Zimmerluft in der Lichtblick-Redaktion riecht nach dem Rauch der letzten Zigarette, das Fenster steht offen. Natürlich ist es vergittert. An den Wänden hängen Regale mit Büchern: Duden, Strafvollzugsgesetz, nachschlagen auf Analog. Für jeden der insgesamt vier Redakteure gibt es einen Arbeitsplatz mit Computer. In der Taskleiste auf den Flachbildschirmen ist der Fuchs zu sehen, der sich um eine Weltkugel schlängelt. Klickt man das Symbol des Browsers Firefox an, kommt aber nur eine Fehlermeldung.

Marco V. ist seit Mai Chefredakteur des Lichtblick. Die Zeitschrift erscheint vier bis sechs Mal pro Jahr und ist kostenlos. Sie ist unzensiert, presserechtlich sind die Gefangenen verantwortlich. Sie drucken auf einer eigenen Druckmaschine, die steht im Stockwerk unter den Redaktionsräumen. Das sind im Vergleich mit anderen Gefängniszeitungen viele Freiheiten.