lunes, 16 de septiembre de 2013

Soziales Netzwerk Facebook wird uncool, ist aber unverzichtbar - DIE WELT

Statusmeldung, Freundschaftsanfrage, "I like" – bis zu sechs Stunden am Tag verfolgen Intensivnutzer den Nachrichtenstrom auf Facebook. Für sie ist das soziale Netzwerk eine Sucht. Viele andere sind dagegen langsam genervt.

Für mich ist Facebook nicht mehr das wichtigste Netzwerk. Es gibt dort einfach zu viele unwichtige Sachen, die mich ablenken und nerven", sagt der 17-jährige Finn. Er geht in Hamburg zur Schule – und nutzt wie die meisten seiner Mitschüler viele Kommunikationswege im Internet. Auf WhatsApp, Twitter und Instagram bewegt er sich regelmäßig. Facebook, das einst trendige und junge Netzwerk, ist für den Jugendlichen ein alltägliches und ziemlich unaufregendes Vehikel.

Das liegt paradoxerweise auch am Erfolg des sozialen Netzwerks. 25 Millionen Deutsche sind bei Facebook registriert, die Hälfte davon schaut mindestens einmal täglich dort vorbei. Die Bundesrepublik zählt zu den Ländern, in denen der US-Konzern mehr als die Hälfte aller Internet-Nutzer erreicht.

Doch für die meisten von ihnen ist Facebook längst zu einem Alltags-Kommunikationsmedium geworden. Statt zum Telefon zu greifen, kontaktieren sie ihre Freunde per Online-Nachricht über das Netzwerk. Und ganauso machen es Firmen, Behörden, Werber, Medien, Politiker, Eltern, Lehrer. Weltweit 1,1 Milliarden Nutzer posten Beiträge, "liken" Webseiten, werben für Produkte. Der Ansturm verdrängt die verspielten, trendigen Facebook-Nutzer der jungen Generation.

Als die 13-jährige New Yorker Schülerin Ruby Karp im August in einem Meinungsbeitrag für das Online-Techmagazin "Mashable" schrieb, für sie sei Facebook nicht mehr relevant, löste sie eine rege Debatte aus: Verliert Facebooks Expansion an Dynamik, wenn es bei den Jugendlichen im wichtigsten Markt nicht mehr populär ist?

Meinungsforscher des Pew Research-Center befragten im Mai Jugendliche zu ihren Internet-Nutzungsgewohnheiten – und stellten einen deutlich nachlassenden Enthusiasmus bei den Zwölf- bis 17-Jährigen fest. Die Jugendlichen schreckt die Masse an Beiträgen und Werbung ab, sie fürchten um ihre Privatsphäre – und wollen allzu neugierigen Eltern aus dem Weg gehen, die mittlerweile allesamt auf Facebook sind.

Dennoch kam die Studie zu einem überraschenden Ergebnis: Knapp 80 Prozent der Befragten sind trotz des nachlassenden Enthusiasmus regelmäßig auf Facebook aktiv, die Jugendlichen nutzen es zudem so lange und oft wie zuvor. Sie können auch gar nicht anders.

Quer durch die Bevölkerung relevant

Ein Grund dafür ist der Netzwerkeffekt: Als in den 1880er-Jahren die ersten Telefonnetze aufgebaut wurden, hatten die Teilnehmer noch kaum etwas von der Anschaffung eines Apparats. Jahrzehnte später, mit Millionen Festnetzanschlüssen im Land, war abgehängt, wer kein Telefon hatte. Im Internetzeitalter wachsen Netzwerke viel schneller – auch weil Konzerne wie Facebook keine Kabel vergraben müssen, sondern sich die Nutzer mit wenigen Klicks ins Netzwerk einwählen können.

Mit dem Wachstum geht auch die Entwicklung zu einem allgemeingültigen Internet-Medium einher. Inzwischen beherrscht Facebook fast alle Ausdrucksformen der Netzkommunikation, von der Nachrichtengruppe bis zum Videotausch. "Facebook hat den Anspruch, ein Rundum-sorglos-Paket zu liefern – die Nutzer sollen möglichst alle Aspekte ihrer Internetnutzung in irgendeiner Form mit Facebooks Angeboten verknüpfen", sagt Thomas Pleil, Kommunikationsforscher an der Hochschule Darmstadt.

Der Marketingexperte sieht das Netz in Deutschland in der Mitte der Internetgesellschaft angekommen. "Facebook ist nicht mehr Anwendung für nur eine Generation, sondern quer durch die Bevölkerung relevant, aktuell rekrutiert der Konzern seine neuen Nutzer vor allem bei über 30-Jährigen."

Auch Pleil beobachtet, dass der Enthusiasmus bei der einstigen Hauptzielgruppe nachlässt – doch das spielt mittlerweile gar keine Rolle mehr: "Intensiv-Nutzern wird Facebook langweilig – dennoch kommt kaum jemand ohne aus, da dort mittlerweile der komplette erweiterte Freundeskreis diskutiert, sein Leben mitteilt und Aktivitäten organisiert."

Diesen Schritt, erklärt Pleil, haben Konkurrenten wie Mein-VZ oder Myspace nie gehen können – sie blieben Netzwerke einer einzelnen Generation, die ihnen entwuchs und zu Facebook wechselte. Auch der Börsenkurs des Konzerns spiegelt inzwischen diese starke Marktposition wider: War die Aktie nach dem Börsengang 2012 auf 17 Dollar abgestürzt, stieg sie in den vergangenen drei Monaten rasant an. Diese Woche auf ein Allzeithoch von 45 Dollar.

Twitter macht Facebook Konkurrenz

Die Aktionäre wissen: Je mehr Nutzer auf Facebook aktiv sind, desto nützlicher und unersetzlicher wird der Dienst für jeden Einzelnen. Facebook hat in westlichen Industrieländern aktuell keinen ernsthaften Gegner. Googles Konkurrenz-Netzwerk Plus kommt zwar auf annähernd ähnliche Nutzerzahlen, doch hier sind die Nutzer täglich im Schnitt nur etwa sechs Minuten aktiv – ein Drittel der durchschnittlichen Nutzungsdauer auf Facebook.

Das macht sich auch in der Kasse bemerkbar: Pro Nutzer nimmt das Netzwerk im Quartal 1,60 Dollar an Werbegeldern ein. Und Firmengründer Mark Zuckerberg tut alles, um diese Position zu halten. Zum Beispiel, indem er Konkurrenten kauft: Als das Bilder-Netzwerk Instagram stark wuchs, legte Zuckerberg eine Milliarde Dollar auf den Tisch. Der Deal zahlte sich aus: Facebook-müde Jugendliche sind auf Instagram die aktivste Nutzergruppe.

Lediglich der Kurznachrichtendienst Twitter macht Facebook bei der schnellen Kommunikation großer Nutzergruppen aktuell Konkurrenz: Mit gut 200 Millionen Nutzern ist der sieben Jahre alte Dienst zwar nicht annähernd so groß wie Facebook, dafür jedoch ist er bei der jugendlichen Zielgruppe beliebter.

Twitter wird mit einem cooleren, jüngeren Image verbunden und ist bei der Weiterverbreitung von Nachrichten in klassischen Medien präsenter. Von dieser Popularität will das Unternehmen nun an der Börse profitieren – und kündigte am Donnerstag stilecht per Tweet seinen anstehenden Gang aufs Parket an.

Kann Twitter wie Facebook bald traditionelle Kommunikationsformen ersetzen? Das blaue Netzwerk tut es bereits: "Über Facebook erreiche ich meine Schüler schnell und unkompliziert und bekomme ein direktes Feedback", sagt Finns Lehrer. Manche seiner Kollegen nutzten Facebook inzwischen so selbstverständlich wie früher den Tageslichtprojektor. Sie teilen Informationen zur Projektwoche, Organisatorisches zur Schülersprecherwahl oder Fotos vom letzten Schulkonzert in einem Medium, in dem sich die Schüler ohnehin bewegen und zumeist viel besser auskennen als die Pädagogen.

Infrastruktur für das soziale Leben

Das Internetmedium als Schwarzes Brett. "Ich finde, dass Facebook sehr praktisch ist, um schulische Sachen zu regeln", sagt die 17-jährige Gymnasiastin Paula. "Wir haben eine Gruppe mit dem ganzen Jahrgang, in der man superschnell Informationen bekommt. Auch im Abiball-Komitee besprechen wir alles über Facebook." Kurznachrichten vom Oberstufenkoordinator – wenn Facebook für Teenager jemals einen subversiven Charakter hatte, dann ist das lange her.

Niemand in der einstmaligen Kernzielgruppe ist noch so blöd, peinliche Partyfotos oder private Bekenntnisse dort öffentlich auszustellen. Und mancher erwachsene Nutzer teilt seine Facebook-Freunde auf zwei Profile auf: eines für Geschäftspartner und eines für den engen Freundeskreis. Es sind diejenigen jugendlichen Nutzer, die Facebook in den ersten Jahren nach dem weltweiten Start 2005 den Ruf des Studenten-Partynetzwerks gaben. Die sind mittlerweile 26 bis 34 Jahre alt, haben ihr Studium abgeschlossen, machen Karriere und bilden die größte zahlungskräftigste Nutzergruppe auf Facebook.

In ihrem Leben spielen soziale Netzwerke eine zentrale Rolle. In einem viel zitierten Artikel im Blog "Dealtime" der "New York Times" erklärte der Unternehmensberater Tony Schwartz, wie er erst anhand der Gespräche auf der Hochzeit seiner Tochter realisierte, wie Facebook und Twitter die Infrastruktur für das soziale Leben einer ganzen Generation bilden: "Als meine Freunde und ich die Universität abschlossen, gingen einst wertvolle Freundschaften durch Distanz und Zeitmangel verloren. Doch die Generation meiner Tochter ist nicht mehr bereit dazu, Karrieren über Freundschaften zu stellen. Dank Tausender kleiner digitaler Verbindungen, geteilter Fotos, Chats und Diskussionen bleiben sie in Kontakt und halten Beziehungen am Leben."

Das wissen auch Zuckerberg und seine Entwickler. Sie verwandelten die Nutzeroberfläche von Facebook in den vergangenen zwei Jahren immer weiter weg vom bloßen Selbstdarstellungs- und Nachrichtendienst hin zu einer Infrastruktur für Beziehungs- und Interessenmanagement. Mit der Archivübersicht Timeline und der Suchfunktion Social Graph machen sie es ihren Nutzern einfacher, den Freundeskreis online zu pflegen und den Überblick nicht zu verlieren.

Für Unternehmen attraktiv

Das Potenzial für die langfristige Bindung großer Nutzergruppen macht Facebook auch für Werbekunden attraktiv. Einer Umfrage der Universität St. Gallen zufolge investieren mittlerweile 90 Prozent der mittelgroßen und großen Unternehmen im deutschsprachigen Raum Teile ihres Marketingbudgets in die sozialen Netzwerke. Alle Dax-Konzerne sind hier aktiv – und sammeln teilweise Millionen Fans.

Die Unternehmen bauen reihenweise Seiten auf, für Konzernauftritt, Kundenservice, Personalwerbung oder Produkte. Erfolgreichster deutscher Konzern auf Facebook ist der Sportartikelhersteller Adidas: Allein den Auftritt der Dachmarke verfolgen bislang 14 Millionen Fans, dazu kommen Millionen Fans der länder- und sportartenspezifischen Seiten. "Insgesamt erreichen wir über 60 Millionen Fans", sagt Nicole Vollebregt, globale Marketingchefin. "Unser Ziel ist es, mit unserer Zielgruppe 365 Tage im Jahr in kontinuierlichen Kontakt zu treten, diese zu inspirieren und mit unseren Fans zu interagieren. Dabei soll die Begehrlichkeit der Marke gesteigert und eine enge Beziehung zu den Konsumenten geschaffen werden."

Diese enge Beziehung ist das Ziel aller Social-Media-Strategen. Ihr Tätigkeitsfeld gehört zu einer ganzen Reihe neuer Berufsgruppen, die um Facebook und Twitter herum entstanden sind: Community-Manager kommunizieren im Vollzeitjob mit den Fans ihrer Auftraggeber, Content-Producer erzählen authentische Geschichten, um die Nutzer bei der Stange zu halten. "Nirgendwo sonst kann ich meine Zielgruppe so genau abgrenzen, so interaktiv, so langfristig erreichen wie hier", erklärt Aaron Lang, Social Media Manager bei der Kölner Direktmarketingagentur Wunderman, den größten Reiz von Facebook für die Firmen.

Lang betreut unter anderem für Nokia Deutschland und Mazda Europa den Auftritt im Social Web. Er weiß: "Mittlerweile haben viele Unternehmen verstanden, dass sie mit bloßem Marketing-Sprech auf Facebook nicht viel erreichen. Wer langfristige Beziehungen zu seinen Kunden aufbauen will, muss sie durch authentische Interaktion inspirieren." Wer den Kontakt nicht abreißen lässt, baut Loyalität zur Marke auf – und kann im Krisenfall auf die Freundschaft zählen: "Die Fans verteidigen etwa gegen Kritik von außen oder helfen beim Kundenservice, indem sie Problemlösungen posten."

Dieses Engagement lassen sich die Firmen viel kosten: Mit sogenannten Sponsored Posts bringen sie ihre Botschaften direkt auf die Nachrichtenseiten ihrer Fans und verschafften Facebook im vergangenen Jahr ein Umsatzwachstum von 53 Prozent auf 1,8 Milliarden Dollar pro Quartal. Konkurrent Twitter versucht sich aktuell ebenfalls an gesponserten Nachrichten für alle Nutzer – doch noch kann der Facebook-Konkurrent nicht einmal ansatzweise dasselbe Engagement von Werbekunden vorweisen: Etwa 580 Millionen Dollar nimmt das Netzwerk nach Angaben der Researchfirma EMarketer für die gesponserten Tweets in diesem Jahr ein.

Zwar schreckt die Begeisterung der Werber Nutzer wie den Hamburger Schüler Finn eher ab. Dennoch werden die Facebook lange treu bleiben, sagt Social-Media-Experte Pleil voraus: "Der Dienst ist zu einer grundlegenden Infrastruktur des Internets geworden, da er zwei zentrale Aufgaben übernimmt: Nutzer können über die Like-Funktion ihre Präferenzen im Netz ausdrücken und sortieren, und sie können sich über Facebooks Login-Funktion bei vielen Diensten authentifizieren." Vor allem diese Funktion, eine Art digitaler Ausweis im Internet, erschwert den Abschied von Facebook enorm: Wer sich abmeldet, verliert nicht nur seine Identität bei Facebook, sondern muss auch bei Dutzenden anderen Angeboten von vorn anfangen. Das macht das Netzwerk zwar uncool, aber unersetzbar.

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