Hoffeld - Sie kann auch anders. Aber Tamara Shpiljuk macht das gern, was in normalen Konzertsälen schon länger aus der Mode gekommen ist: lauter bekannte, lauter romantische Stücke spielen, eigentlich fast lauter Zugaben. Und das in einer Manier, die große Gefühle überhaupt nicht scheut. Am Freitag trat die aus der Ukraine stammende Pianistin im gut besetzten Saal des Lothar Christmann-Hauses in Hoffeld auf.

Im Publikum sind ältere Menschen und Hausbewohner in der Mehrheit. Es ist eine dankbare Zuhörerschaft, die nicht so oft in den Genuss eines Klavierkonzertes von hohem Rang kommt, dabei nicht unbedingt auf dem neuesten Stand der musikalischen Moden oder Vorlieben ist und auch großen Wert darauf legt, Bekanntes, ja Altbekanntes wiederzuerkennen und die Stücke mit so viel Gefühl, ja sogar am liebsten in großem romantischem Schwelgen dargeboten zu bekommen. Das allerdings tut Tamara Shpiljuk mit tadelloser Technik, aller Verkitschung gegenüber musikalisch maßvoll und in höchster Virtuosität. „Evergreens" nannte sie ihren Strauß klassisch-romantischer Blumen.

Shpiljuk tritt auch mit ihrer Stimme auf

Auch Barockmusik fehlte bei ihrer Darbietung nicht. In Konzertsälen ist das ein Tabu: Johann Sebastian Bach hat sein großes strenges, in zwei Zyklen durchdekliniertes Lehrwerk von Präludien und Fugen in allen Dur- und Molltonarten, „Das Wohltemperierte Klavier", mit einer ganz schlichten Folge von gebrochenen Akkorden eingeleitet. Irgendein Herr Schwencke meinte, die zeitlos große (und zahlensymbolische) Balance dieses Stücks mit einem eingefügten Akkord „ergänzen" zu müssen, den ganze Generationen von Klavierschülern nachspielten – ein mittleres Geschmacks-Verbrechen.

Als wahrhaftige Schändung gilt inzwischen, was der Herr Gounod dann machte: Dieser gewiss nicht unbegabte französische Opernkomponist legte den frommen kanonischen Muttergottes-Text samt sentimentaler Melodie über Bachs Harmonie und nannte das: „Ave Maria". Ihm gelang damit, was gar nicht geht: Er machte sich vielleicht noch ein bisschen unsterblicher als mit seinem „Faust". Denn die Menschen mochten das Machwerk, liebten es über die bedenkenlose Romantik hinaus – bis heute, und immerdar. Amen.

Tamara Shpiljuk tritt zwar auch mit ihrer Stimme auf, so etwa vor Jahresfrist mit ihrem Opern- und Operetten-Programm im Lothar-Christmann-Haus. Aber sie spielte Bach-Gounod auf dem etwas stumpf gewordenen Kawai-Flügel in einer grifftechnisch schwierigen reinen Instrumentalfassung. Das Publikum war bewegt, sichtlich mehr als etwa bei einem anderen, sehr sauber in der Vielstimmigkeit seines Urtextes plastisch gemachten Bach-Präludium. Auch Franz Schuberts „Ave Maria" blieb jene breite Popularität, seinem „Ständchen" nicht minder.

Begeistertes Publikum in Hoffeld

Hinter allem ausladend Sentimentalen stand doch eine hohe Phrasierungskunst, waren doch feine Anschlagskultur, Fingerfertigkeit, Kraft und vor allem das tiefe musikalische Verständnis der Pianistin nicht zu verbergen. Das galt für Robert Schumanns „Träumerei", seinen wilden „Aufschwung", für Edvard Griegs Romanzen „Ich liebe dich" und „Zu deinen Füßen" ebenso für die hierzulande etwas weniger geläufige „Meditation" von Jules Massenet, die Tamara Shpiljuk nicht nur poetisch zart und innig, sondern mit wirklich großartiger Dichte aufklingen ließ.

Vater und Mutter hatten beide eine Musik-Professur. Die Tochter kam 1990 mit Bestnoten im Abschluss am Kiewer Tschaikowsky-Konservatorium aus der Ukraine nach Deutschland. Als Pädagogin, aber auch als Begleiterin vermittelt sie seither die hohe Schule jener technisch virtuosen, gefühlvoll romantisierenden Klavierkunst, die als „russisch tief" im westlichen Konzertbetrieb nicht mehr so en vogue ist. Trotzdem gibt es dafür Bedarf, auf kleinen Podien eben. Das Publikum in Hoffeld war begeistert und zutiefst dankbar. Tamara Shpiljuk revanchierte sich mit dem fulminanten – und makellosen – „Solfeggio" des Bach-Sohnes Carl Philipp Emanuel.