Die NSA hat uns betrogen und das Netz missbraucht. Wir Techniker haben das Internet errichtet – jetzt müssen wir es auch reparieren. Von Bruce Schneier

Informatiker und Netzjournalist Bruce Schneier

Informatiker und Netzjournalist Bruce Schneier  |  © Attila Kisbenedek/AFP/Getty Images

Der amerikanische Informatiker und Sicherheitsanalytiker Bruce Schneier fordert in einem Kommentar im Guardian Techniker und Ingenieure auf, nicht länger über die Methoden der NSA zu schweigen und zu Whistleblowern zu werden. Außerdem sollen sie ein sicheres Internet bauen, das die Massenüberwachung durch Staaten unmöglich macht. ZEIT ONLINE veröffentlicht seinen Appell exklusiv in deutscher Übersetzung.

Regierung und Industrie haben das Internet – und uns – verraten. Indem die NSA das Internet auf jeder Ebene untergraben hat, um aus ihm eine riesige, allumfassende Überwachungsplattform zu machen, hat sie einen fundamentalen Gesellschaftsvertrag unterlaufen. 

Weder den Unternehmen, die die Infrastruktur des Internets bauen und regulieren, noch denen, die Hardware und Software verkaufen, noch denen, die Daten speichern, kann man noch zutrauen, dass sie das Netz ethisch korrekt verwalten.

Das ist nicht mehr das Internet, das die Welt braucht, und auch nicht mehr das, was seine Schöpfer erdacht hatten. Wir müssen es uns zurückerobern. Und mit "uns" meine ich die Entwickler.

Ja, dies ist zuallererst ein politisches Problem, das politisches Eingreifen erfordert. Doch es ist auch ein technisches Problem. Und es gibt mehrere Dinge, die Techniker jetzt tun können – und sollten.

Erstens sollten wir aufklären. Wenn Sie kein offizieller Geheimnisträger der Regierung sind und bisher keinen National Security Letter erhalten haben, sind Sie nicht an staatliche Geheimhaltungsvorschriften oder Maulkorberlasse gebunden. Falls Sie von der NSA kontaktiert wurden, weil ein Produkt oder Protokoll Ihrer Firma unterwandert werden soll, sollten Sie das öffentlich machen. Verpflichtungen gegenüber Ihrem Arbeitgeber gelten nicht, wenn es um illegale oder unethische Taten geht. Wenn Sie mit offiziell als geheim eingestuften Daten arbeiten und wirklich mutig sind: Sagen Sie, was Sie wissen. Wir brauchen Whistleblower.

Wir müssen wissen, wie genau die NSA und andere Geheimdienste Router und Knotenpunkte, Verschlüsselungstechnologien und Cloud-Dienste aushebeln. Ich habe bereits fünf Geschichten von Menschen wie Ihnen vorliegen, dabei habe ich gerade erst angefangen, zu sammeln. Ich wünsche mir 50 solcher Geschichten, denn in der Masse sind wir sicherer. Diese Form des zivilen Ungehorsams ist der moralisch richtige Weg.

Zweitens können wir gestalten. Wir müssen herausfinden, wie wir das Internet umbauen können, um diese Art der Massenausspähung zu verhindern. Wir brauchen neue Techniken, um Kommunikationsvermittler davon abzuhalten, private Informationen weiterzugeben.

Wir können dafür sorgen, dass Überwachung teurer wird. Im Einzelnen heißt das, wir brauchen offene Protokolle, offene Implementierungen und offene Systeme – denn die sind für die NSA schwerer zu unterlaufen. Die Internet Engineering Task Force (IETF), die Organisation, die die technischen Standards des Internets definiert, hat für Anfang November eine Konferenz in Vancouver einberufen. Die Task Force sollte ihr Treffen diesem Ziel widmen. Das hier ist ein Notfall, der einen Noteinsatz erfordert.

Drittens können wir auf die Politik Einfluss nehmen. Ich habe mich bisher gescheut und bin betrübt, zu sagen: Die USA haben bewiesen, dass sie das Internet nicht ethisch verwalten. Großbritannien ist nicht besser. Die Taten der NSA legitimieren den Missbrauch des Internets durch China, Russland, Iran und andere. Wir brauchen neue Wege der Netzregulierung, und zwar solche, die es mächtigen Technologiestaaten erschweren, alles zu überwachen. Wir müssen zum Beispiel mehr Transparenz, Aufsicht und Rechenschaft von Regierungen und Firmen fordern.