miércoles, 11 de septiembre de 2013

Warum Twitter den Wahlsieg nicht vorhersagen kann - DIE WELT

Irgendwas hat sich in den letzten Jahren verändert. Jedenfalls lacht an diesem Dienstagmorgen niemand laut auf, als bei der Pressekonferenz die zumindest merkwürdigen Worte "Keyword-Liste", "tracken" und "Twitter" in einem einzigen Satz untergebracht werden.

Christoph Neuberger hat sie ausgesprochen. Er ist Professor an der Ludwigs-Maximilian-Universität München und versucht den anwesenden Journalisten zu erklären, welche Rolle der Kurznachrichtendienst im Wahlkampf spielt. Twitter hat sich nämlich seit der letzten Bundestagswahl 2009 im politisch-medialen-Komplex etabliert. Es gibt immer mehr Nutzer, die bei dem Social Network ihre Einträge mit einer Länge von 140 Zeichen hinterlassen.

Vor allem Technikaffine tummeln sich hier, kommentieren die Postings der anderen, sorgen dafür, dass sich manche Beiträge in Windeseile mit nur einem Knopfdruck verbreiten. Viele Nutzer sind zudem Entscheider – und sorgen dafür, dass Twitter-Themen immer wieder in die Massenmedien schwappen.

Der Mikroblogging-Dienst ist also wichtig. Nur wie wichtig? Kann Twitter vielleicht sogar das Ergebnis der Bundestagswahl prognostizieren? Falls ja, würde das Parteienspektrum völlig neu gemischt.

Das Netz diskutiert über die AfD und die Piraten

Verschiedene Internetseiten oder Forschungsprojekte nehmen in diesen Monaten die politischen Vorlieben der Twitter-Nutzer unter die Lupe. Der Blogger Sascha Lobo zum Beispiel hat das "Twitterbarometer" gestartet.

Auf dieser Internetseite wird ausgewertet, welche Partei beim Kurznachrichtendienst am besten ankommt. Derzeitiger Zwischenstand: Zwei Parteien, die nicht im Bundestag vertreten sind, liegen weit vorn, nämlich die Alternative für Deutschland (AfD) und die Piratenpartei.

Besonders an der Partei der Euro-Kritiker ist, dass sie polarisiert, also viel Zuspruch und Abneigung verbucht. Im Netz erregt das die Gemüter sehr. Die Piraten hingegen werden vor allem positiv diskutiert.

Eine Million Tweets untersucht

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt nun auch die vom Vodafone Institut für Gesellschaft und Kommunikation geförderte Studie, die der Wissenschaftler Neuberger vorstellte. Zwischen Mai und August untersuchten er und Stefan Stieglitz von der Universität Münster etwa eine Million Tweets, in denen Parteinamen oder die Spitzenkandidaten Angela Merkel (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) auftauchten.

Demnach liegt die Piratenpartei mit einer Präsenz von 28 Prozent vorne, gefolgt von der Union (21 Prozent), der SPD (19 Prozent) und den Grünen (15 Prozent). Die AfD schauten sich die Wissenschaftler allerdings nicht genauer an.

Bei den Twitter-Nennungen hat Merkel mit 63 zu 37 Prozent einen deutlichen Vorsprung vor Steinbrück. Allerdings: Bei der Bewertung schneidet Steinbrück besser ab als die Kanzlerin. Auch beim TV-Duell wurde der SPD-Kandidat demnach positiver bewertet.

Wissenschaftler messen soziale Kommunikation

Eine Vorhersage über den Ausgang der Bundestagswahl wolle und könne man gar nicht treffen, sagte Neuberger. Twitter biete jedoch die Möglichkeit, soziale Kommunikation zu messen. In Worten der Kanzlerin würde das wohl heißen: Hier befindet sich ein "Neuland", das die Wissenschaftler nun erkunden. Facebook, das sehr verbreitete Social Network, wird übrigens viel seltener analysiert – denn dort sind viele Daten nicht öffentlich zugänglich.

Zur Untersuchung sagte Neuberger einschränkend: "Wir haben es noch immer mit relativ wenig Nutzern zu tun." Er verweist auf die aktuellen Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie.

Demnach sind 77,2 Prozent der Bundesbürger online. Lediglich sieben Prozent davon nutzen Twitter – aber immerhin drei Prozentpunkte mehr als im Jahr zuvor. Und: Vor allem junge Menschen zwischen 14 und 29 twittern.

99 Prozent Piraten-Anhänger sind im Netz

Hier ahnt man bereits, warum die Piraten bei Twitter auftrumpfen können. Die Partei, die eng mit dem digitalen verbunden ist, hat viele junge Anhänger – und von ihren Fans sind insgesamt 99 Prozent im Internet.

Laut einer Untersuchung der Forschungsgruppe Wahlen ist das ein Rekord. Von den Wählern der Union sind 75 Prozent im Netz, von der SPD 73 Prozent, von der Linken 82 Prozent, von der FDP 89 Prozent und von den Grünen 93 Prozent im Netz vertreten.

Auch Christoph Bieber, Politologe an der Universität Duisburg-Essen, dämpft vor übereiligen Schlüssen aus Twitteranalysen: In den USA würden solche Untersuchungen mehr Sinn machen, weil es dort mehr Nutzer gebe. "In Deutschland haben wir es eigentlich mit einem Branchenmedium mit geringer Reichweite zu tun." Auf der Plattform würden sich besonders viele Politiker und Medienvertreter tummeln.

Twitter kann Initialzündung sein

Was auf Twitter diskutiert werde, sei nicht mit dem gleichzusetzen, was die Bürger über Politik denken, warnt Bieber. Er schränkt jedoch ein: "Bei den Themen ,#Aufschrei' oder ,#Neuland' haben wir gesehen, dass Twitter tatsächlich eine Art Initialzündung sein kann und ein Thema in den Medienkreislauf einspeisen kann."

Vor allem wenn es um Echtzeitkommunikation geht – wie beim TV-Duell – können von Twitter Impulse ausgehen. Als Beispiel nennt Bieber die Diskussion über die Halskette von Angela Merkel. In ähnlicher Weise könnte auch am Tag der Bundestagswahl ein Thema über Twitter in Windeseile heranwachsen.

Ganz ähnlich sieht es Andreas Jungherr von der Universität Bamberg. Er forscht zur Rolle des Internets in der politischen Kommunikation und hat 2009 sogar noch selbst Online-Wahlkampf für Merkel gemacht. Jungherr warnt vor zu hohen Erwartungen: "Twitter ist ein unrepräsentativer Querschnitt durch die Gesellschaft."

Politikern gehe es laut Jungherr bei ihrem Auftritt "nicht nur um Kommunikation und Interaktion, sondern auch um ihre eigene Symbolkraft und darum, ihre Marke darzustellen". Twitter sei damit zum Teil ein Raum politischer Inszenierung. Doch auch Jungherr ist fasziniert von dem Portal: "Große Ausschläge auf Twitter können Auswirkungen auf die klassische Medienlandschaft haben." Die Erkundung lohnt also.

Portal ist keine "Meckerecke"

Erstaunlicherweise stellten die Forscher der aktuellen Untersuchung fest, dass es sich bei Twitter keinesfalls um eine reine "Meckerecke" handele, wie Neuberger sagte. Der Kurznachrichtendienst ist demnach keineswegs ein Shitstorm-Hort. Mehr als die Hälfte aller Beiträge zu den untersuchten Parteien seien positiv konnotiert.

Die Parteien werden der Studie zufolge in den sozialen Medien mit bestimmten Themen verbunden. So werde die CSU häufig im Zusammenhang mit der Affäre um den ehemaligen Psychiatrie-Patienten Gustl Mollath genannt, die Grünen mit dem "Veggie Day" und der Pädophilie-Debatte. Ein Grund dafür könnte nach Angaben der Forscher sein, dass die Parteien die sozialen Medien verstärkt nutzen, um die politische Konkurrenz anzugreifen.

Bei der CDU herrsche indes "Themenebbe", konstatierten die Forscher. Die Partei werde am häufigsten im Zusammenhang mit Merkel genannt. Das wiederum scheint nicht nur ein Internet-Phänomen zu sein.

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