lunes, 9 de septiembre de 2013

So hört sich Musik im Jahr 2033 an - DIE WELT

Früher war alles besser. Nichts ist neu und alles schon mal da gewesen. Eigentlich sah das auch Archy Marshall bisher so. Er ist der lebende Beweis dafür, dass immer etwas Neues kommen wird und die Musik von heute und von morgen visionärer klingen kann als die von gestern. Marshall wurde vor zwei Wochen 19 Jahre alt.

Zur Feier des Geburtstages veröffentlichte er "6 Feet Beneath The Moon", sein erstes Album. Er nennt sich King Krule. Sein Künstlername speist sich aus zwei Quellen: King K. Rool heißt ein Reptil im Gameboy. "King Creole" hieß ein Musikfilm, in dem Elvis Presley 1958 einen 19-Jährigen spielte, der als Nachtclubsänger den verarmten Vater und die kleine Schwester zu ernähren hatte.

Marshall selbst lebt in East Dulwich im Südosten Londons unter asiatischen und afrikanischen Migranten. Seine Künstlereltern hatten ihn mit "Gangster's Paradise" von Coolio in den Schlaf gewiegt und schon im Vorschulalter mit der Software Cubase eigene Stücke komponieren lassen. Als Marshall elf wurde, bekam er eine Achtspur-Bandmaschine; als er 15 war, erschien unter dem Namen Zoo Kid seine erste Single. Er nannte sich JD Sports, wenn er mit seinem Laptop auftrat, und Edgar The Beatmaker als rappender Poet.

Auch nur ein Kind seiner Zeit

Zugleich lebt Archy Marshall in der Popgeschichte. Wer ihn dort besucht, erfährt von ihm, wie Django Reinhardt in den Dreißigern den Jazz zur europäischen Musik erklärte. Aber eben auch, dass Dubstep nicht von Musikern erfunden wurde, sondern von den Programmierern der Berliner Firma Native Instruments. So hört sich auch seine Musik an: Marshall spielt Gitarre wie ein Tanztee-Musikant, bellt wie ein Straßenpunk und füllt viel leeren Raum mit futuristischen Konsolenklängen.

Man sitzt einem rothaarigen Jungen gegenüber, der so viele Sommersprossen hat wie Facebook-Freunde. Man erkennt in ihm die Zukunft der Musik. Die Alten, die in der Kulturlandschaft den Ton angeben und die Zukunft früher schöner fanden, die geburtenstarken Jahrgänge, die Retrofuturisten – sie diskriminieren ihn als Wunderkind. Dabei ist Archy Marshall nur eines von vielen Kindern seiner Zeit. Man wird noch viel von ihnen hören, und auch noch in zwanzig Jahren.

Irgendwann zwischen den Achtzigern und Neunzigern kam der Musik der Fortschrittssinn abhanden. Als Entschuldigung diente die Postmoderne. Techno galt als letzte Popbewegung, in der sich die allerletzten Grenzen und Konflikte auflösten, im rasenden Stillstand. Es war auch die Zeit, in der sich Forscher an der Universität von Erlangen wieder mit Schallplatten befassten, um Musikstücke so originalgetreu wie möglich in versandgerechte Datenpäckchen zu verwandeln.

Wer klaut heute noch Musik?

Karlheinz Brandenburg, ein Mathematiker am Fraunhofer-Institut, schickte das erste Stück im MP3-Format durchs Telefonnetz, "Tom's Diner" von Suzanne Vega. MP3 wurde zum Standard. Bevor das Jahrhundert ausklang, stellte ein Student aus Thailand den geheimen Code ins Netz und stürzte das Musikgeschäft in eine Krise, von der es sich nie wieder erholen wird. Damit war auch der Glaube an die Zukunftsmusik endgültig verloren.

Heute kann man die Musikgeschichte streamen. Alles, was je aufgenommen wurde, von der Gründerzeit der Popmusik bis zu den Neuerscheinungen der laufenden Woche. 19-Jährige wie Archy Marshall finden es zwar noch ganz schick, dass man Musik als Artefakt besitzen kann: als Schallplatte, CD oder Datei. Sie finden es aber nicht notwendig.

Musik verflüchtigt sich als Ware, die man nicht mal mehr kopieren oder klauen muss. Das Recht am geistigen Eigentum ist kein Naturgesetz, das war es nie. Der Industrie entgleiten zunehmend die Instrumente, um die Rechte durchzusetzen. Für die musizierende Jugend ist das Copyright ein alter Witz. Man muss kein Spinner und Prophet sein, um vorherzusagen, dass sich das Musikleben fundamental verändern wird. Zum Besseren.

Was wissen die Alten schon?

Dass digital noch vorzugsweise in der Betaversion musiziert und konsumiert wird, also wie im 20. Jahrhundert, liegt nicht nur an den Beharrungskräften der Musikmärkte. Noch hartnäckiger halten sich die alten Ideologien. Warnten früher Ohrenärzte junge Menschen vor den Folgen der modernen Popmusik, beklagen heute Klangkritiker den Verfall der Hörkultur durch iTunes oder Spotify. Das Feindbild des zerstreuten Hörers aus der Rezeptionsforschung der Siebziger taucht wieder auf wie ein Gespenst.

Der "Guardian" lobt Archy Marshall als "Stimme seiner Generation", als sei damit alles gesagt. Dass Musiker wie Marshall die Musikgeschichte jederzeit und überall als Quelle nutzen, dass sie immer mehr zu wissen scheinen als man selbst, und dass es nie mehr braucht als einen Mausklick, ist das Generationsproblem der Alten. Niemand reagiert so feindselig auf eine richtungsweisende kleine App wie "Traktor", mit der jeder DJ spielen kann, als stünde er seit Jahren an den Plattentellern dieser Welt.

Die Alten predigen immer verzweifelter den Segen der Verknappung früher und die Seligkeit des Echten. Es gibt längst kein Instrument mehr, das sich nicht am Heimcomputer überzeugend simulieren ließe, vom einst raumfüllenden Synthesizer bis zum präparierten Röhrenverstärker. Man muss nur etwas damit anzufangen wissen. Andy Marshall weiß es.

Auch fürs 21. Jahrhundert gilt: Vorsprung durch Technik. In den Künsten wirkte dabei stets eine gewisse Trägheit. Als elektrische Gitarren aufkamen, spielten die Gitarristen zunächst wie gehabt, nur lauter, bevor sie ein völlig neuartiges Instrument entdeckten. Auf den ersten Synthesizern wurde Bach gespielt, und Sinfonien wurden mit zehn Fingern aufgeführt. Kein Kunsthandwerkzeug hatte es so schwer wie der Computer. Was auch daran lag, dass digitale Instrumente entweder wie analoge aussahen, wie Schlagzeuge und Heimorgeln, oder aber am Laptop generiert wurden von blassen Nerds.

Vergesellschaftet die Produktionsmittel!

Es gab Versuche, völlig neue Manuale zu erfinden, in der Regel Tafeln mit bunt blinkenden Sensoren, um den Musiker auch körperlich mit den Technologien zu versöhnen. Seit es den Tablet-Computer gibt mit seinen tastsensiblen Oberflächen, werden Pulte wie das "Push" mit wachsender Begeisterung bedient. Die Möglichkeiten sind schier unerschöpflich, und allein die Quantität stellt eine ungeahnte Qualität in Aussicht. Freuen wir uns auf das Jahr 2033.

Es war nie so leicht, sich musikalisch anregen zu lassen und zu bilden. Nie war es erschwinglicher und einfacher, daraus erlesene Musik zu machen. Nie zuvor waren Konsum und Produktion sich näher. Um im Ton zu bleiben: Es war immer schon ein Traum der Popmusik, die Produktionsmittel zu vergesellschaften. Musik wird dadurch freier werden.

Sie wird immer schöner klingen, sogar digital. Der MP3-Gegner Neil Young lässt ein Dateiformat entwickeln, "Pono", das dem Sound der Schallplatte entsprechen soll. Der MP3-Großvater Karlheinz Brandenburg steht kurz vor dem vollendeten 3D-Klang, "Iosono" soll den Raum erobern, nicht bloß virtuell. Die alte Plattenindustrie sieht in der digitalen Jugend die "Verlorene Generation". Vielleicht sind die Verlorenen einfach nur weiter, man muss sie nur lassen.

Archy Marshall singt als King Krule: "I'm the only one believing / There's nothing / To believe in." Er glaubt, dass er nichts glaubt. Seine Musik braucht kein harmonisches Gerüst und keine Melodie als Halt mehr. Man ahnt noch nicht, was das sein könnte, wie man es einmal nennen wird. Auch Marshall ahnt es nicht, aber er denkt darüber nach und sagt: "Ich bin ein Pionier in meiner eigenen Musik. Für mich ist sie ja auch neu."

No hay comentarios:

Publicar un comentario