lunes, 9 de septiembre de 2013

Social-Media-Diplomatie "Twitter ermöglicht Politik in Echtzeit" - DIE WELT

Barack Obama, der Michel in den Armen hält, die Augen geschlossen und ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen – kein Tweet wurde so oft weiterverbreitet, wie dieses Foto mit den Worten "Four more years" (Vier weitere Jahre), das der US-Präsident nach seiner Wiederwahl im November 2012 über den Kurznachrichtendienst Twitter sendete. Über 800.00 mal wurde es von anderen Nutzern weitergeschickt. Obama ist nicht der einzige Staatschef, der Twitter nutzt. Sogar aus Ländern, in denen der Kurznachrichtendienst gesperrt ist, nutzen Regierungschefs und Minister ihn, um ihre Meinung im Ausland zu verbreiten.

Die amerikanische PR-Agentur Burson-Marsteller hat in der Studie "Twiplomacy 2013" untersucht, wie Regierungen, Ministerien sowie Staats- und Regierungschefs, aber auch Kirchenoberhäupter und Königshäuser den Kurznachrichtendienst nutzen. Barack Obama (@BarackObama) führt die Liste mit mittlerweile mehr als 36 Millionen Followern an, gefolgt von den Konten des Papstes (@Pontifex) in verschiedenen Sprachen mit mehr als sieben Millionen Followern, dem Weißen Haus (@WhiteHouse) und dem türkischen Präsidenten Abdullah Gül. Matthias Lüfkens, Leiter der Studie und Social-Media-Experte, erklärt im Interview, wie Regierungs- und Staatschefs Twitter nutzen, was ihre Twitter-Konten über ihren globalen Einfluss aussagen und was er dem deutschen Regierungssprecher Steffen Seibert raten würde.

Die Welt: 505 "World leader", das heißt Staats- und Regierungschefs, Minister und zugehörige Institutionen in 153 Ländern, unterhielten der "Twiplomacy"-Studie im Juli 2013 zufolge einen oder sogar mehrere Twitter-Konten. Welche Bedeutung hat Twitter für die internationale Politik und den Austausch der Politiker?

Matthias Lüfkens: Ich glaube, Twitter wird nicht Telefongespräche oder persönliche Treffen von Staatschefs ersetzen, aber es ist ein neuer Kanal, mit dem man sehr gut ein globales Publikum erreichen und gleichzeitig auch Kontakte knüpfen kann. Deswegen ist es gar nicht ausschließlich interessant, wer die meisten Follower hat, sondern auch wer wem folgt. Barack Obama ist natürlich der Staatschef, dem am meisten andere Menschen und Institutionen folgen. Er selbst folgt etwa 600.000 anderen Twitter-Nutzern. Das ist darauf zurückzuführen, dass er sein Konto anfänglich so eingestellt hatte, das er automatisch jedem folgte, der ihm folgte. Bei 700.000 ist da eine Grenze. @BarackObama verfolgt allerdings nur die Accounts von zwei anderen Staats-und Regierungschefs, dem russischen Ministerpräsidenten Dimitri Medwedjew und dem norwegischen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg.

Die Welt: Also geht es Obama gar nicht darum, sich über seinen Twitter-Account auszutauschen, sondern vielmehr darum, seine Meinung zu verbreiten?

Lüfkens: Genau, das @BarackObama-Konto ist ein Kampagnen-Account, ein Twitter-Konto, das 2007 spezifisch für den Wahlkampf aufgesetzt und 2012 wieder benutzt wurde. es wird nicht von der Regierung unterhalten. Der Twitter-Account des Weißen Hauses (@WhiteHouse) folgt dem Account @BarackObama nicht, denn das würde heißen, dass das Weiße Haus einen Kandidaten unterstützt. Das Weiße Haus folgt deswegen auch nicht dem Twitter-Account von Mitt Romney. Die Tweets auf @BarackObama sind auf die amerikanische Politik ausgerichtet. Obama will damit seine Wähler ansprechen. Auch in Großbritannien gibt es einen offiziellen Regierungs-Account (@Number10gov) und seit dem vergangenen Jahr auch ein persönliches Konto von David Cameron (@David_Cameron). Auch in Frankreich tweetet der Präsident unter @Elysee, sein persönliches Konto @fhollande wird hingegen von der sozialistischen Partei unterhalten. Es ist allerdings nach seiner Wahl eingestellt worden.

Die Welt: Welche Staats- und Regierungschefs oder Minister nutzen die Twitter-Konten intensiv, um sich mit anderen Amtsinhabern auszutauschen?

Lüfkens: Da gibt es eine kleine Gemeinde von Außenministern. Der bestvernetzte von ihnen ist der schwedische Außenminister Carl Bildt (@carlbildt). Der hat insgesamt 44 gegenseitige Kontakte mit seinen Kollegen und anderen Staats-und Regierungschefs. Wenn man seinen Twitter-Feed auswertet, zeigt sich, dass er sich oft öffentlich mit seinen Kollegen austauscht. Unter anderem mit dem finnischen Europaminister Alexander Stubb(@alexstubb), aber auch dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski (@sikorskiradek) und dem britischen Außenminister William Hague (@WilliamJHague). Vor zwei Wochen hat Bildt seinen britischen Amtskollegen Hague über Twitter zu einem Besuch in Stockholm eingeladen. Es ist interessant, zu beobachten, wie dort ganz öffentlich Politik gemacht wird. Das geht in 140 Zeichen.

Die Welt: Aber komplexe politische Meinungen sind in 140 Zeichen schwer unterzubringen und die offiziellen diplomatischen Protokolle werden bei Twitter auch umgangen. Da kann es schnell zu Missverständnissen kommen.

Lüfkens: Ich würde sagen, es gibt Risiken, dass man einen Fehler macht. Viele haben in sozialen Netzwerken Fehler gemacht. Aber das größte Risiko ist, nicht dabei zu sein und sich eben nicht über Twitter zu vernetzen. Ich sage immer: Ein Tweet ist wie eine Überschrift in der Zeitung. In der können Sie auch nicht alles sagen. Aber wenn sie interessant ist, dann will man mehr erfahren und dann klickt man auf den Link. Viele Tweets verweisen schließlich durch Links auf Blogs oder Artikel. Deshalb stellt sich für mich die Frage nicht, ob 140 Zeichen zu kurz sind. Außerdem besteht die Möglichkeit, die auch Bildt und der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert (@RegSprecher) nutzen, über Twitter Fragen der Twitter-Follower zu beantworten. Auch das ist in 140 Zeichen möglich. Bildt hat so in 30 Minuten 62 Fragen beantwortet. Das können Sie in einer traditionellen Pressekonferenz nicht machen.

Die Welt: Warum ist gerade Twitter unter den sozialen Netzwerken so beliebt bei politischen Akteuren?

Lüfkens: Twitter ist öffentlich, Facebook hingegen ist eigentlich ein privates soziales Netzwerk. Man muss Mitglied sein, um alle Profile und Nachrichten sehen zu können. Bei Twitter kann man die Tweets auch lesen, wenn man nicht angemeldet ist. Das ist der große Unterschied. Twitter ist außerdem viel einfacher zu handhaben. Man kann entweder 140 Zeichen, ein Bild oder ein Video posten. Bei Facebook kann man noch viel mehr machen – man kann zum Beispiel Gruppen bilden. Die Einfachheit von Twitter ist ausschlaggebend.

Die Welt: Mit ihrer Präsenz in sozialen Netzwerken können Politiker das Gefühl von Transparenz erzeugen und zugleich ihre Ansichten verbreiten. Aber was hat sich durch Twitter konkret verändert im Austausch von Politikern untereinander und mit der Bevölkerung?

Lüfkens: Es ist ein Kanal, auf dem wir unsere Politiker erreichen können. Wenn wir auf Twitter ein @mention schicken, das heißt jemandem in dem Tweet anreden, kann es sein, dass die Tweets zwar nicht unbedingt von der Person persönlich gelesen werden, aber die Teams hinter den Accounts der wichtigen politischen Akteure lesen die Tweets oder machen zumindest eine Sentiment-Analyse. So sehen sie, wie die Politik derzeit bei den Twitter-Nutzern ankommt. Die kroatische Regierung beantwortet beispielsweise Fragen und diskutiert auch Gesetzentwürfe über Twitter. So soll die Bevölkerung Input geben. Das könnte man natürlich auch über die eigene offizielle Webseite machen, aber über Twitter ist das einfacher. Der Account der kroatischen Regierung zählt laut unserer Studie zu den Konten, die am häufigsten Fragen beantworten. Ich halte es für einen Erfolg, dass man einen neuen Kanal gefunden hat, bei dem man sich direkt mit seinen Staats- und Regierungschefs und den Ministern unterhalten kann.

Die Welt: Wie viele der führenden globale politische Akteure antworten denn den Bürgern?

Lüfkens: Die Daten zeigen, wie viele der Tweets eines Kontos Antworten auf andere Tweets sind. Bei dem ugandischen Ministerpräsident Amama Mbabazi (@AmamaMbabazi) sind 96 Prozent der Tweets Antworten, bei Ruandas Präsident Paul Kagame (@PaulKagame) sind das 88 Prozent. Der schwedische Außenminister hat sogar einen extra Twitter-Kanal, auf dem er Fragen beantwortet (@fragaCarlBildt). Beim ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa (@MashiRafael) sind 83 Prozent der Tweets Antworten und beim australischen Ministerpräsidenten Kevin Rudd (@KRuddMP) 78 Prozent. Das kann man machen, wenn man noch eine begrenzte Follower-Zahl hat.

Die Welt: Und wer beantwortet die Fragen noch selbst?

Lüfkens: Barack Obama zum Beispiel zähle ich noch zu den Personen, die selbst tweeten, allerdings nur sehr selten. Dann signiert er die Tweets mit dem Kürzel "bo". Zu den Staatsmännern, die noch selbst tweeten, ist der Präsident von Estland (@IlvesToomas) zu zählen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Präsident aus Ruanda tweetet auch noch selbst, genau wie der finnische Europaminister und der schwedische Außenminister. Ich schätze, zehn Staats-und Regierungschefs bedienen selbst und aktiv ihr Konto.

Die Welt: Welche autoritären Regime sind unter den 153 Ländern, in denen führende politische Akteure Twitter nutzen?

Lüfkens: Der Präsident des Iran benutzt Twitter. Auch die syrische Regierung hat einen Account. Wir haben sie nicht in die Studie aufgenommen, denn wir waren uns nicht sicher, ob das Konto offiziell ist. Die nordkoreanische Regierung ist auch bei Twitter präsent, aber nur über die Nachrichtenagentur. Das Konto haben wir auch nicht aufgenommen, weil es kein richtiges Regierungskonto ist. Ein Land, das noch nicht dabei ist, ist China, denn Twitter ist in China gesperrt und die Regierung benutzt Twitter nicht. Aber ich denke, daran werden sie auf lange Sicht nicht vorbeikommen.

Die Welt: Welche Rolle spielt Twitter während der aktuellen Syrien-Krise?

Lüfkens: Eigentlich eine eher geringe Rolle. Aber man hört natürlich schon über Twitter Aussagen von Politikern dazu. Diese Tweets schaffen es teilweise in die Nachrichten und die Zeitung. Der russische Außenminister hat zum Beispiel die Position seines Landes zu Syrien als erstes über Twitter verbreitet. Darauf gab es dann Reaktionen. Ich weiß nicht, inwiefern diese Aussagen Einfluss auf die Krise selbst haben. Ich glaube nicht, dass über Twitter die Syrien-Krise gelöst wird. Aber in 140 Zeichen kann man dazu sehr gut Stellung nehmen.

Die Welt: Es kommt immer wieder vor, dass zum Beispiel Parlamentarier aus laufenden Abstimmungen twittern. Gefährdet Twitter so nicht auch Entscheidungen und private Hintergrundgespräche?

Lüfkens: Private Treffen gibt es nur noch, wenn man allen Teilnehmern sagt, dass sie ihre Smartphones nicht mitbringen dürfen. Ich finde diese Öffnung privater Treffen durch Twitter aber eher interessant. Das kann schließlich auch ganz gezielt sein, wenn aus Verhandlungen kommuniziert wird. Der finnische Europaminister war kürzlich auf einer Konferenz in Slowenien und tweetete aus dem Panel. Durch Twitter öffnen sich Meetings. Es ermöglicht Politik in Echtzeit.

Die Welt: Durch Tweets können Entscheidungen aber auch untergraben werden.

Lüfkens: Das ist klar, da bin ich überzeugt. Twitter wird noch großen Einfluss auf die Politik haben.

Die Welt: Innerhalb von sechs Monaten haben es die Twitter-Accounts des Papstes gemessen an der Zahl der Follower auf Platz zwei ihrer Studie geschafft. Steffen Seibert, der als Regierungssprecher twittert, hat hingegen nur etwas mehr als 110.000 Follower. Woran liegt das und was würden sie Steffen Seibert raten?

Lüfkens: Der Vatikan hat für den Pontifex ein institutionelles und zugleich persönliches Konto aufgesetzt. Wenn er stirbt oder abtritt, wird das Konto vom nächsten Papst weitergeführt. In unserer Studie hatte er sechs Millionen Follower, jetzt hat er noch mehr. Vor allem sein spanisches Konto ist sehr populär. Franziskus kommt schließlich aus Argentinien. Das Konto wird als Broadcast-Konto genutzt, es gibt dort keine Interaktion. Steffen Seibert würde ich raten, so weiter zu machen, wie er es zurzeit macht. Er macht das sehr gut. Bei Twitter reagiert er oft auf Fragen. Ich würde mir zusätzlich zu dem Konto des Regierungssprechers ein Konto der Regierung wünschen, auf dem Bundeskanzlerin Merkel einige Tweets selber signiert oder, dass sie ein persönliches Konto hat. Sie ist die einzige der G8-Regierungschefs, die kein persönliches Twitter-Konto hat, auch nicht für Wahlkampfzwecke. Ich wünsche mir mehr direkte und persönliche Kommunikation von der Bundeskanzlerin.

Die Welt: Was sagt ein Twitter-Konto über den internationalen Einfluss eines Staatschefs oder einer Regierung aus?

Lüfkens: Die Zahl der Abonnenten ist nicht entscheidend. Entscheidend ist zum einen, wer unten den Followern ist und wer von diesen einflussreich ist und die Nachrichten weiter tweetet. Die 110.000 Follower bei Steffen Seibert sind respektabel. Mit Millionen Followern hat man natürlich mehr Schlagkraft. Die Frage ist allerdings auch, wie man diese nutzt. Neben dem Papst und Obama haben der türkische Staatspräsident Abdullah Gül (@cbabdullahgul) und der türkische Ministerpräsident Erdogan (@RT_Erdogan) Millionen Follower. Ob sie damit einflussreicher sind, ist fraglich. Sie tweeten auf Türkisch, es geht um Innen- und nicht um Außenpolitik, das Publikum ist ganz klar in der Türkei. Ich glaube, dass sie damit im globalen Vergleich nicht sehr einflussreich sind.

Die Welt: Was muss man also machen, um international einflussreich zu sein?

Lüfkens: Um globalen Einfluss zu haben, muss man zum einen auf Englisch twittern. Dafür sind Carl Bildt und William Hague die besten Beispiele. Sie tweeten beide auf Englisch und gehen zudem auf die Follower ein. Das sind die Einflussreichsten. Alec Ross, der ehemalige Berater für Innovation von Hillary Clinton, sagte einmal: Twitter erlaubt es Regierungen und Ländern mehr Gewicht zu bekommen, als sie eigentlich haben. Das kann man sehr gut am Beispiel von Bildt sehen, der Schweden als diplomatischen Akteur über Twitter verstärkt. Er hat auch "nur" 220.000 Follower, aber es müssen nicht Millionen sein, um einflussreich zu sein. Es gibt verschiedene Modelle, wie man den Einfluss eines Twitter-Kontos berechnen kann. Wir haben berechnet, wie oft Tweets einer Person weitergetragen werden. Demnach ist der Papst am einflussreichsten, denn seine spanischen Tweets werden im Durchschnitt über 11.000 Mal retweetet und auf seinem englischen Account über 8000 Mal. An dritter Stelle steht Nicolas Maduro, der Präsident von Venezuela. Wenn der einen Tweet schickt, wird der im Durchschnitt 4700 Mal retweetet. Obamas Tweets hingegen "nur" 2500 mal.

Die Welt: Wie werden die Staats- und Regierungschefs in 30 Jahren mit der Bevölkerung kommunizieren?

Lüfkens: Wahrscheinlich mehr über soziale Netzwerke als über die eigene Webseite. Ich denke auch, dass sie direkter kommunizieren werden und nicht so sehr über traditionelle Wege wie Pressekonferenzen und Zeitungsinterviews. Man geht direkt an das Publikum und braucht theoretisch nicht mehr die Zeitungen oder das Fernsehen. Theoretisch. Natürlich werden klassische Medien weiter einflussreich bleiben. Es ist klar, dass zum Beispiel ein TV-Duell der Kanzlerkandidaten nicht durch einen Twitter-Schlagabtausch ersetzt werden kann. Obwohl es ganz interessant wäre.

Foto: AFP Barack Obamas Tweet nach der Präsidentenwahl 2012: Es ist der am häufigsten weiterverbreitete Tweet beim Kurznachrichtendienst Twitter

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