lunes, 11 de febrero de 2013

Musik bringt Fußballer-Hirne in Gleichklang - DIE WELT

Der Name von Johanna Sängers Dissertationsprojekt klingt ziemlich genau so, wie man es von einer Doktorandin am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung erwartet. Die Arbeit an "Cortical phase synchronization and interbrain connectivity in interpersonal action coordination" ist aber glücklicherweise längst nicht so dröge, wie man vermuten könnte.

Denn im Labor der Entwicklungspsychologin finden regelmäßig kleine Konzerte statt. Während zwei Gitarristen eine zweistimmige Rondo-Sequenz aus der Sonate in G-Dur von Christian Gottlieb Scheidler insgesamt 60-mal spielen, verfolgt die junge Wissenschaftlerin am Bildschirm die Muster der elektrischen Gehirnströme der Musiker. Bevor diese zur Gitarre griffen, hatte Sänger sie komplett verkabelt.

Sie misst nicht nur die elektrische Aktivität ihrer Gehirne mittels Elektroenzephalografie (EEG) über 64 Elektroden am Kopf, sondern auch die Atmungsfrequenzen und Handbewegungen der Gitarristen. Sänger möchte herausfinden, was im Gehirn von Menschen geschieht, wenn sie gemeinsam eine Handlung ausführen müssen, sich also koordinieren.

Musik bietet sich dafür natürlich an. "Gerade wenn Musiker zusammenspielen, ist zeitliche Koordination das Allerwichtigste, denn es kommt oft auf eine genaue Abstimmung im Millisekundenbereich an", sagt sie.

Hirnwellen synchronisieren sich automatisch

Bereits vor einigen Jahren hatten Kollegen aus dem Institut und der Universität Salzburg in einer Studie zeigen können, dass sich beim Zusammenspiel auch die Hirnwellen von Musikern automatisch synchronisieren.

In der Untersuchung, die 2009 im Journal "BMC Neuroscience" veröffentlicht wurde, hatten die Forscher ebenfalls Gitarristen für Jazzsessions ins Labor geholt, bei denen beide Musiker das Gleiche spielten.

Dabei zeigte sich, das die Hirnwellenmuster der Musiker sich immer ähnlicher wurden, und zwar schon vor dem Anschlagen des ersten Tones, also in der Vorbereitungsphase; etwa wenn das Metronom den Takt vorgab.

Das bedeutet: Zuerst synchronisieren sich die Gehirne, erst anschließend die Handlungen – die Musiker scheinen sich also regelrecht aufeinander "einzupendeln".

Gültig auch bei unterschiedlichen Stimmen?

Besonders hoch war die Synchronisation zwischen den Gehirnen in den mittig gelegenen Arealen des Stirnhirns. Hier wird die Aufmerksamkeit gesteuert, werden Handlungen geplant und diese neuen Informationen angepasst. Doch eine Frage ließ die Studie damals offen: Gibt es die Synchronisation auch, wenn Personen gemeinsam spielen, aber unterschiedliche Stimmen?

Hier hat Johanna Sänger angesetzt. Ihre Auswertungen an Scheidlers Rondo zeigen, dass die Musiker dies tun. Auch wenn sie verschiedene Stimmen spielen, die an unterschiedlichen Stellen im Stück einsetzen und pausieren, synchronisiert sich ihre Hirnaktivität.

Und das bedeutet: Die Koordination kann nicht einfach daher rühren, dass beide Gitarristen die gleichen Töne spielen und hören oder die gleichen Bewegungen ausführen. Vielmehr scheinen sich beide Musiker an einer Art hirnübergreifendem Netzwerk zu orientieren.

Das hilft ihnen dabei, nicht nur ihre eigene Stimme zu spielen, sondern auch die Handlungen des anderen im Blick zu haben und vorauszuplanen. Die Wissenschaftlerin vermutet, dass eine Art gemeinsames Verhaltensmodell von beiden Spielern entworfen und während des Spielens ständig überprüft wird.

Gleichschaltung beim Anführer besonders ausgeprägt

"Unsere Vorstellung ist, dass die Musiker ihre Handlungen, zum Beispiel die Fingerbewegungen, auf der Basis eines gemeinsamen Zeitschemas koordinieren", erklärt Sänger. Dabei sei vor allem der Rhythmus eines Stückes entscheidend.

"Ob da ein C, D oder E erklingt, macht für das Timing und die gegenseitige Abstimmung keinen großen Unterschied", sagt die Psychologin. Dass die Gitarristen dabei aber tatsächlich den anderen in Betracht ziehen und nicht stur ihren Part gemäß dem Rhythmus spielen, zeigte die Auswertung der Daten an ganz bestimmten Stellen im Musikstück.

"Die Gleichschaltung der Hirnwellen, die wir an einer einzelnen Elektrode gemessen haben, waren beim anführenden Spieler stärker ausgeprägt", erklärt Sänger. Zudem war die Übereinstimmung der Musiker in schwierigen Passagen größer, etwa wenn ein Tempowechsel bevorstand.

Dass sich Gehirne auch bei anderen Aktionen, die Koordination erfordern, synchronisieren, wird in der Forschung vermutet – viele Befunde gibt es dazu aber bislang nicht. Daher, so Johanna Sänger, gebe es auch noch kein greifbares Modell dazu, wie genau Handlungskoordination im Gehirn repräsentiert ist.

Bessere Koordination bei Sportlern

Während sich die Gitarristen in Sängers Studie bewusst und zielgerichtet am Rhythmus der Musik orientieren, ist die musikalische Anpassung in den Experimenten von Alfred Effenberg von der Leibniz Universität Hannover eher eine unwillkürliche.

Im Projekt "SoundSoccer" untersucht der Forscher nach einer Idee des Musikjournalisten Manfred Müller gemeinsam mit seinem Kollegen Gerd Schmitz, dem Fußballtrainer Armin Friedrich und dem Komponisten Matthias Hornschuh, ob Musik auch Sportlern dazu verhelfen kann, sich zu synchronisieren und besser zu koordinieren.

"Fußballer interagieren untereinander in der Regel visuell", erklärt Effenberg. "Sie müssen die Laufwege und Lauftempi beim zeitsensiblen Passspiel abschätzen und die Richtung und Stärke eines Abspiels auf dieser Basis bestimmen." Das Gehör aber, so der Sportwissenschaftler, könne Zeiträume besonders gut vergleichen und einschätzen.

"Wenn die Spieler also eine gemeinsame Zeitbasis haben, können sie ihr Spiel optimieren." Deswegen spielte auch in seinen Experimenten der Rhythmus eine entscheidende Rolle. Effenberg und sein Team ließen dafür zwei Fußballmannschaften mit je fünf Spielern gegeneinander antreten, die drei Blöcke zu jeweils zehn Minuten absolvierten.

140 Beats pro Minute

Der erste davon war musikfrei. Für den zweiten wurden die Fußballer mit drahtlosen Kopfhörern ausgestattet, die auf die Tausendstelsekunde synchronisierte elektronische Musikstücke wiedergaben. Der Komponist Matthias Hornschuh hatte diese eigens für den Versuch mit einer Beatzahl von 140 Schlägen pro Minute geschrieben – das entspricht der durchschnittlichen Sprintgeschwindigkeit von Fußballern.

In den letzten zehn Minuten schließlich hörten die Spieler die gleiche Musik, allerdings nicht synchronisiert, mit zwischen 119 und 168 Schlägen pro Minute. Für die gegnerische Mannschaft lief dies umgekehrt: Sie hörten zuerst die asynchrone Musik und anschließend die synchrone.

Die Fußballer selbst hatten allerdings keine Ahnung, was auf sie zukam: Sie wussten nur, dass sie während des Spiels irgendwann Musik zu hören bekommen würden. Effenberg und seine Kollegen konzentrierten sich bei der anschließenden Analyse der insgesamt 22 Spiele hauptsächlich auf das Passspiel, das als Schlüsselelement für fußballerischen Erfolg gilt.

Dabei kommt es auf die Zahl der Zuspiele sowie auf die Länge der Passsequenzen an. Das Ergebnis war erstaunlich: Die Fußballer in der synchronen Bedingung spielten deutlich besser – der einzelne Spieler gab den Ball schneller ab und es waren mehr Spieler an einer Passkette beteiligt.

Tendenziell schlechter bei Asynchronität

"In der asynchronen Bedingung dagegen spielten die Fußballer tendenziell schlechter", sagt Effenberg. "Es wurde die Tendenz erkennbar, dass die Asynchronität das Zusammenspiel tatsächlich stört." Da die Musik an sich für beide Mannschaften die gleiche gewesen sei, könnten die gemessenen Unterschiede in der Leistung nur durch die unterschiedlichen Zeitcharakteristiken – präzise Gleichzeitigkeit gegenüber einer Ungleichzeitigkeit beim Hören der Musik – zustande gekommen sein, erklärt der Wissenschaftler.

Interaktionen auf dem Spielfeld gelingen besser, wenn der einzelne Spieler weiß, zu welchem Zeitpunkt sich die anderen bewegen. Die gemeinsame Zeitbasis durch die Musik könnte helfen, weil Menschen wie beim Tanzen dazu tendieren, sich zum Rhythmus zu bewegen.

Dieser bietet also etwa mögliche und für alle Spieler vorhersehbaren Zeitpunkte, zu dem etwa ein Abspiel wahrscheinlicher ist. Effenberg hat seine Studienergebnisse kürzlich auf dem Wissenschaftskongress des Deutschen Fußball-Bundes in Frankfurt vorgestellt.

Dort bekam er sehr positives Feedback. "Ich bin daher gespannt, wie es auch in der sportlichen Praxis mit der Verwendung von Musik im Training weitergeht", sagt der Experte.

Richtige Bewegung beim Rudern

Doch Musik hilft nicht nur Menschen untereinander bei der Koordination, sie kann auch einen Einzelnen dabei unterstützen, seine eigenen Bewegungen besser miteinander zu koordinieren. In einem anderen Projekt, der "Sonifikation im Rudern", hat Effenberg diesen Effekt zusammen mit Gerd Schmitz erforscht.

Auch dort dominiere meist das Auge, sagt er. Sowohl das Erlernen von Bewegungen wie auch die Koordination von Bewegungsabläufen stützten sich hauptsächlich auf visuelle Informationen.

"Wir haben uns gefragt: Kann man Bewegungen vertonen, sodass die genauen Bewegungsabläufe akustisch erkennbar sind?" Man kann, so das Ergebnis, und nicht nur das: Auch hier hilft ein direktes auditives Feedback über die eigenen Bewegungen.

So lernten Versuchsteilnehmer bestimmte Abfolgen beim Rudern schneller, als wenn sie die richtigen Bewegungen nur beobachteten. Vermutlich, so der Forscher, weil durch das akustische Feedback der Schritt wegfalle, beobachtete Bewegungen erst umständlich in eigene übersetzen zu müssen.

Visuelle Zeichen helfen auf der Bühne

Wichtig sei aber, dass dieses Feedback intuitiv verstehbar ist. So klängen Beinbewegungen tiefer und voluminöser als Armbewegungen. Im Gegensatz zu den Fußballern spielt hier für den Erfolg also auch die Tonhöhe eine wichtige Rolle.

Beide Projekte zeigen, dass Informationen über mehrere Quellen helfen. Während die Sportler über akustische Reize ihre visuellen Informationen präzisieren, kommen Musiker trotz der Basis des gemeinsamen Rhythmus nicht nur damit aus.

"Nach Gehör zu spielen wird zunehmend unzuverlässiger, je schwieriger die Passagen werden", sagt etwa der Berliner Gitarrist Marcus Auerbach. Dann wandern die Blicke meist zum Schlagzeuger, bei dem die Fäden zusammenlaufen, so der Musiker.

Und Tim Neuhaus, selbst Drummer bei der Blue Man Group und führender Kopf bei "Tim Neuhaus & The Cabinet", ergänzt: "In den Proben entwickelt man die Sprache für den Ernstfall des Live-Moments – Vokabeln der Blicke und visuelle Zeichen, die auf der Bühne helfen."

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